TENDENZEN - Nr. 4/1999
Zum Nachdenken: Die
"Mamarazza"
von Claus Jacobi
"Ich bin die
älteste von acht Schwestern", erzählt sie. "Da haben die jüngeren immer die
Klammotten von den älteren aufgetragen. Meine jüngste Schwester bekam ihr erstes Kleid,
als sie heiratete - ihr Brautkleid."
Wer da spricht? Eine
Nachfahrin von Österreichs Kaiserin Maria Theresia, die Fürstin Maria Anna zu
Sayn-Wittgenstein-Sayn. Eine der letzten großen Damen Europas. Sie ist gläubige
Katholikin und Mitglied im International Council des amerikanischen Salk-Instituts für
Grundlagen-Forschung. Heiterkeit und Güte umgeben sie. In diesem Jahr wird die
ungewöhnliche Frau 80.
Als Tochter des
Großgrundbesitzers Mayr-Melnhof in Salzburg geboren, wurde sie mit ihren Geschwistern im
elterlichen Schloß Glanegg liebevoll und streng erzogen. "Wenn wir als Kinder
sagten: Heute habe ich Kopfweh', da hat unsere Mutter uns angeschaut, und das
Kopfweh war in Sekunden verflogen." Disziplin und Bescheidenheit waren angesagt,
Luxus weniger. "Bis zum Abitur haben wir im Sommer zwei Dirndl und im Winter zwei
Lodenröcke besessen. Mehr war überflüssig."
Im Krieg heiratete die
Österreicherin mit 22 einen jungen deutschen Offizier, den sechsten Fürsten zu
Sayn-Wittgenstein-Sayn. Als ihr Mann Ludwig im Herbst 1946 aus der Gefangenschaft nach
Glanegg heimkehrte - 18 Monate hatte seine Frau nicht gewußt, ob er lebte oder gefallen
sei - errechneten die jungen Eheleute, daß sie sich seit ihrer Verlobung vor sechs Jahren
insgesamt drei Wochen gesehen hatten.
Mit einem Transport
verschleppter Personen traten die beiden noch im gleichen Winter die Reise nach
Deutschland an: zehn Tage und elf Nächte in einem Viehwaggon bei minus 20 Grad. Ihr
Schloß Sayn bei Koblenz lag in Trümmern, von Deutschen bei Kriegsende gesprengt. In der
Gärtnerei bauten Fürst und Fürstin sich eine neue Existenz auf. Ein dreirädriger
Tempo-Lieferwagen war ihr erstes Auto.
Fünf Kinder schenkte
"Manni" Wittgestein ihrem Mann. 1962 starb er bei einem tragischen Unfall. Die
Mutter zog die fünf alleine groß. Sie verwöhnte sie mit ihrem Herzen. "Kein Beruf,
keine Pension, keine Versicherung, nichts. Ich mußte Geld verdienen." Sie
fotografierte. Die "Mamarazza" taufte Caroline von Monaco sie liebevoll. Unter
diesem Titel wird nun zur Buchmesse im Herbst ein Bildband von ihr erscheinen: Ein halbes
Jahrhundert Zeitgeschichte auf über 1500 Fotos. Ob Queen Mum, Nobelpreisträger Sir
Francis Crick oder Frau Sukarno, Königin Sirikit, Bildhauer César oder Karl Lagerfeld -
sie kannte oder kennt sie alle.
Heute lebt die Fürstin im
Jagdhaus Ellmau, tief im Wald bei Fuschl. Ihre Mittagessen während der Salzburger
Festspiele sind legendär. Maggy Thatcher, Oscar de la Renta und Kurt Waldheim saßen bei
ihr am Tisch. Mirja Sachs, Minister und Professoren wurden gesichtet, als sie in der
Küche halfen.
"Wie jemand mit
Personal umgeht, verrät mehr über ihn als seine Titel", sagte die Fürstin jetzt in
einem Interview zu Dagmar v. Taube. "Menschen mit schlechten Manieren finde ich
unmöglich. Frauen sollen gute Mütter sein, ein schönes Zuhause schaffen und nie den
Mann vernachlässigen. Wenn die Kinder aus dem Hause sind, können sie sich um sich
kümmern."
Ungewohnte Töne im
modernen Deutschland. Haben vielleicht unsere Blaustrümpfe, die Moderatorinnen mit den
schrillen Stimmen im Fernsehen und die Quoten-Frauen der Politik doch nicht allein die
ganze Weisheit gepachtet?
Claus Jacobi, 71, war bis
Ende 1998 Herausgeber von "Welt am Sonntag". Jeden Samstag schriebt er eine
Kolumne in "Bild". Mit freundlicher Genehmigung von Autor und Verlag
veröffentlicht TENDENZEN heute eine von ihnen.
|